Aus Fehlern lernt man mehr als durch Erfolg
Lifelong Learning
Text: Sophie Kübler Bilder: Sophie Kübler
Text: Sophie Kübler Bilder: Sophie Kübler
Wie wichtig es für mich geworden ist, ohne Druck und ohne Angst arbeiten zu können, wurde mir erst bewusst, nachdem ich zwei bestimmte Personen gefunden hatte – Menschen, die sich Zeit nehmen und mich als Mentoren bei meiner Arbeit im Sound begleiten, aufbauen und wichtige Hilfestellungen geben. Deswegen möchte ich hier ein paar Erfahrungen wiedergeben. Sie sollen Mut machen, sich Experten zu suchen, die einem dabei helfen, angstfrei zu lernen …
Es war mir von Anfang an wichtig, einen Mentor zu finden. Jemanden, der mir zeigt, wie es geht und von dem ich durch Zuschauen umfangreich lernen kann – im Gesamtzusammenhang. Ich glaube daran, dass das Verstehen des gesamten Arbeitskontextes mir besser erklärt, was meine Aufgabe ist und wie ich sie für die Nächste in der (Prozess-)Kette vor oder nach mir besser gestalten kann. Wenn ich nach anderthalb Jahren Arbeit im Soundbereich zurückblicke, waren da viele Projekte, an denen ich lernen konnte, dabei. Eine interessante und wichtige Phase des Lernens. Mich interessieren viele Themen und da ich mich nicht auf eine Sache festgelegt habe, habe ich mir eine Vielzahl an Einblicken ermöglicht.
Meine Erfahrungen fangen an, während des Studiums und ich weiß, dass ich beim Film arbeiten will. Dass man diesen Bereich Postproduktion nennt, fand ich erst spät raus. Über Crew United kam ich an erste Jobs im Dialog-Editing, als Tonmeisterin und im Sound-Design. Der erste große Job war ein Praktikum bei BOOM Library, wo der Fokus auf der Aufnahme, dem Editieren und der Organisation von Sounds lag. Bei meinem zweiten Job ging es um das Sound-Design für vier Folgen einer Reality-Show in einem Production-House in Mexico City. Darauf folgten das Sound-Design für ein Kinderspielzeug im Auftrag einer Münchner Agentur sowie für ein Animatic der Laika Studios. Dazwischen verbringe ich einige Zeit damit, viele Arbeitsproben anzufertigen. Es ergab sich in der Zeit auch die Möglichkeit, den Mix für ein Indie-Filmprojekt zu übernehmen, welches es sogar ins Kino schaffte.
Das meiste Wissen habe ich mir selbst beigebracht – oder dank Kollegen erarbeitet. Ich war Freelancerin als auch Festangestellte. Der Druck, den man auf die eine oder andere Art in einem vor Konkurrenz trotzenden Umfeld erfährt, macht Angst – denn es gibt viele, die gut sind.
Nachdem ich endlich mein Studium hinter mich gebracht und ein Thema für mich gefunden habe, das mich erfüllt, das ich jeden Tag mit so viel Hingabe und Motivation tue, übe, lese, diskutiere, lebe und mich reinstürzen will, lerne ich auf einmal die Realität kennen. Nur liefern und wenn ich das nicht tue, riskiere ich meinen Job, weil Zeit Geld ist. Damit geht viel Positives verloren. Wenn ich mit anderen verglichen werde, die in was anderem besser sind, als ich in was gut bin, dann verstopft der Druck jegliche Möglichkeit, frei zu arbeiten. Und wer nicht schnell genug arbeitet oder Fehler macht, fliegt raus. Und da kann man jetzt sagen, willkommen in der Arbeitswelt, dem stimme ich nur zu. Das heißt nicht, dass das was Gutes ist und auch nicht, dass das langfristig und nachhaltig für die Beteiligten ist.
Da ich mich nicht damit abfinden wollte und konnte, habe ich angefangen, gezielt nach Möglichkeiten zu suchen, um mein Wissen in angstfreier Atmosphäre aufzubauen – und genau die Gelegenheit habe ich gefunden!
Was gerade daraus erwächst und entsteht, ist das, was es tun sollte. Dabei geht es für mich um den Aufbau von Vertrauen in meine Fähigkeiten, mein Selbstbewusstsein, um Wissensvermittlung und die Entwicklung von Ideen. Darüber hinaus motiviert es mich, lange in einem Unternehmen zu bleiben, in dem der konstruktive Umgang mit Fehlern fest zur DNA gehört. Es gibt mir Sicherheit, weil es mir keine Angst macht und stattdessen Fehler erlaubt.
James und Cesár sind die beiden Personen, die mir als Mentoren Hilfestellung beim Sound-Design für Games und Mixing in der Postproduktion geben.
Es gibt viele Seiten von Mentoring, aber ich meine, man lernt mehr von Fehlern als von Erfolg. Mentoring, das Üben an praktischen Beispielen mit einer Fachkraft, die unterstützt, durch den ständigen Austausch stärkt, Fragen beantwortet, Tipps zu Shortcuts, Einstellungen usw. gibt, Erfahrungen austauscht, sich Zeit nimmt die Ergebnisse anzusehen und dann zu korrigieren, bis man irgendwann anfängt, selbstständig Lösungen zu finden und auf eigenen Beinen zu stehen. Auch daneben-sitzen und zuschauen, wie das große Ganze funktioniert, wie Unterhaltungen funktionieren und wie viele Ebenen ein Projekt hat. Wie lang die Arbeitsketten eigentlich sind.
Mit James suche ich mir einen Videoclip aus. Er schlägt jedoch gleich einen anderen vor, weil mein gewählter Clip zu lang und für den Anfang zu kompliziert ist – ich soll es mir nicht so schwer machen. Ich fange an, mit Reaper den Clip zu designen und schicke ihm die Session über Discord. Nachdem er sich diese angeschaut hat, dokumentiert er per Video, wie er das Design machen würde und erklärt seine Entscheidungen. Also gehe ich wieder in meine Session, um Korrekturen vorzunehmen. Da er andere Source-Sounds verwendet als ich, muss ich mir manche Sounds erst selbst designen, bevor ich sie in die Session einfüge. Daraus resultiert, dass ich lerne, mir eine eigene Source-Library zu bauen – auch wenn eine gute und umfangreiche Sammlung einige Jahre in Anspruch nimmt. Jetzt muss ich noch herausfinden, wie ich z. B. Sci-Fi-Explosionen aus Construction-Kits re-designe. Nachdem ich mir dazu ein Video auf seinem YouTube-Kanal angeschaut habe, stelle ich ihm spezifische Fragen zur Umsetzung. Über Discord bekomme ich eine kurze Antwort mit ein paar zielgerichteten Antworten. Seine Session-Kommentare in Videoform sind detailreich und teilweise bis zu 45 Minuten lang.
Es kostet mich viel Geduld und teilweise einen kompletten Tag, um alles nachzuvollziehen, dafür ist meine Lernkurve sehr steil. Ich merke, wie mir durch zahllose Wiederholungen mittlerweile viele Basics leicht von der Hand gehen und ich mich zunehmend auf fortgeschrittenere Design-Elemente konzentrieren kann – und das völlig angstfrei.
Mit Cesár ist der Ablauf zwar anders, aber trotzdem ähnlich. Da wir in der gleichen Stadt wohnen, wo er in einem großen Mixing-Studio arbeitet, in dem er täglich TV-Episoden mischt, kann ich bei seiner Arbeit oft direkt neben ihm sitzen. Eine Episode von 45 Minuten zu mischen, darf in der Praxis nicht länger als 10 Tage dauern. Bei seinen Sessions zeigt er mir von Anfang bis Ende, wie man vorgeht. Das geht vom Importieren der Dialoge über das Setzen von Reverb-Kammern, dem Editieren der Dialoge bis hin zu Backgrounds, Musik, Hard-Effekten und Foley. Es inkludiert auch die Präsentation des finalen Mix in Gegenwart des Klienten und natürlich die darauffolgende Korrekturphase. So lerne ich eine sehr lange Kette von Arbeitsschritten mit vielen Elementen kennen. Ich nehme mir diese Zeit bewusst frei, um neben ihm im Studio zu sitzen, und notiere mir jeden einzelnen Schritt. Ab und zu kann ich auch selbst die von ihm demonstrierten Wege nachgehen. Dabei bleibt genug Zeit für Fragen sowie eine Abschluss-Runde, in der ich ein Feedback zum gerade Gelernten gebe und dies noch einmal überprüfen kann. Was ist beim Mix relevant? Wodurch zeichnen sich gute Dialoge und Sound aus? Oder was macht einen Foley-Artist aus? Nach vielen Fragen setzt sich ein Bild zusammen, welche Änderungen im Mix vorgenommen werden und wie ich Material für diesen Prozess aufbereite. Die Bearbeitung einer gewöhnlichen Minute Dialog kann in der Praxis schon einmal knapp 45 Minuten beanspruchen – kompliziertere Inhalte gerne auch das doppelte.
Irgendwann wird das Ganze zu einem Job. Je häufiger man etwas wiederholt, je mehr man versteht, Dinge automatisch zu erledigen, desto mehr werden die eigenen Skills zu einem soliden Werkzeug. Man lernt seinen Job auf Autopiloten. Das Mixing ist in der Postproduktion mein persönlicher Traumjob. Das Wichtige bei dieser Form des Lernens ist für mich das Person-to-Person-Learning.
Cesár ist ein alter Kollege aus dem Postproduktionsstudio in Mexiko City, in dem ich gearbeitet habe. Wir kamen über ein gemeinsames Mittagessen im Kollegenkreis in Kontakt. Zu der Zeit ging ich jeden Tag in die Studios. Ich hatte dort zwar keine Arbeit, dafür aber Zugang zu einem Dolby-Atmos-Studio. So arbeiteten wir in zwei Studios gegenüber und kamen häufiger ins Gespräch. Schließlich bot er mir an, meine Beispielarbeiten anzuschauen und zu prüfen. So kam es dazu, dass er mir auch das Mischen in großem Umfang zeigte.
James habe ich über eine Mentoring-Seite kennengelernt, über die ich ihm geschrieben hatte. Ich fragte ihn, ob er Zeit hat mir Sound Design beizubringen. Es war relativ einfach und unkompliziert und startete quasi von einem auf den anderen Tag.
In beiden Fällen lerne ich, Ehrfurcht vor der Arbeit und Experten zu haben. Ich sehe und erkenne, was man für den Job alles braucht und wie viel Arbeit das alles mit sich bringt. Es ist gut zu sehen, welche Fehler Profis machen. Ich habe Clipping, Distortion oder Scratches im professionellen Umfeld gesehen. Dies sind eben Dinge, die jedem passieren und sie passieren auch. Jemandem zuschauen zu können, die/der sehr gut darin ist, was sie/er tut, gibt Inspiration, Ideen und Ausblicke, öffnet den Horizont und gibt Verständnis für den Job und dessen Aufgaben. Dazu gehört individuelles Coaching, die Teilnahme an Meetings sowie das permanente Zuhören, um zu verstehen, was gerade passiert.
Aufrichtiges Feedback zu bekommen und damit jungen Menschen in ihren eigenen kreativen Flow helfen und die eigene kreative Freiheit zu zeigen, ist wichtig. Allerdings setzt dies sowohl einen bestimmten Charakter wie auch gegenseitigen Respekt voraus. Kreativität ist im ständigen Wachstum und baut so immer wieder auf sich selbst auf. Mentoring erfüllt für mich genau dieses. Der Mentor kann dabei zuschauen, wie das eigene Wissen in jemand Anderem weiterwächst. So ist Jeder Teil einer sich ständig weiterentwickelnden Kreativitätskette, die sich stetig vorwärtsbewegt.
Dies mag zunächst an dem einen oder anderen Ego liegen. Nicht jeder Mensch ist dazu bereit, als Mentor Wissen weiterzugeben. Ein anderer Grund, Erfahrung bewusst nicht zu teilen, könnte schlicht Konkurrenzdenken sein. Zum anderen ist benötigt Mentoring auch Zeit und Geld; jemand muss bereit sein, sich die Zeit zu nehmen. Es bedeutet Mehraufwand und einiges an Geduld, eine Person mit ausbaufähigem Wissen während der Arbeit neben sich zu haben. Und glücklicherweise gibt es außerdem so etwas wie natürliche – also nicht explizite – Mentoren, die Jedem im Team auf Augenhöhe begegnen und so trotz stressigem Arbeitsalltag alle an ihrem Wissen teilhaben lassen.
Dass jemand sich so viel Zeit nimmt wie die beiden erwähnten Personen, ist leider immer noch selten. Mittlerweile ist der Druck, keine Fehler zu machen und gut zu funktionieren, in Unternehmen extrem hoch. Das steht dem Mentoring im Wege, weshalb diese Form des Lernprozesses zu etwas ganz Besonderem und Rarem geworden ist.
Ich habe mit meinen Mentoren innerhalb von kürzester Zeit mehr gelernt als in den knapp anderthalb Jahren davor. Ich habe mehr Material angesammelt, das mir helfen wird, einen Job zu finden und das Selbstvertrauen bekommen, dass ich gut in dem bin, was ich tue.
Junge Menschen benötigen einen solchen Lernraum. Der natürliche Lernprozess eines jeden Anfängers braucht einen Lehrer, der versteht, dass die sprichwörtlichen „Anfängerfehler“ mit der Zeit weniger werden. Dann erst steigen die Anforderungen, wodurch wiederum die Chance erwächst, neue Fehler zu begehen und daraus zu lernen. Ich sehe das als einen Kreislauf. Man wird auf natürlichen Wegen – aufgrund stetiger Wiederholung – besser. Und ein ausgezeichneter Mentor, ein guter Vorgesetzter mit ebensolchen Intentionen, hat all das verstanden, wird Mut machen und zu einer nachhaltigen Weiterentwicklung beitragen.
Sophie Kuebler arbeitet als Tontechnikerin in der Postproduktion für Film und Fernsehen und als Sounddesignerin für Games. Sie begann ihre Karriere 2022 als Sounddesign-Praktikantin bei der BOOM Library in Mainz. Im April 2023 arbeitete sie in Mexico City im Team von Martín Hernández bei Cinematic Media an vier Episoden der Amazon Prime Reality-TV-Show Sueltos en los Cabos. Danach setzte sie ihre Arbeit bei den LAIKA Studios fort und mischte den deutschen Film Baba Kush, der 2024 bei den Hofer Filmtagen Premiere feierte. Zu ihren Arbeiten zählen auch die Dialogbearbeitung für die Dokumentation Catcalls, der Produktionssound für Anna – Tales Of Tomorrow sowie diverse Werbespots. Sie lebt zwischen Mexico City und London.