Vier Monate in der Hochburg des Jazz

Text: Christopher Opelt – Fotos: Christopher Opelt, Bunker Studios

Block 1

Früher gingen frisch Ausgebildete auf die Walz, lernten andere Länder und Sitten in ihrem Metier kennen. Christopher Opelt hatte eine ähnliche Chance, als er nach seinem Studium am ETI in Detmold ein Stipendium für ein Praktikum in New York erhielt. Sein lebhafter Erfahrungs- und Reisebericht gibt interessante Einblicke und Denkanstöße!

Die langen Pandemiemonate, die jeglichen künstlerischen und fachlichen Austausch erschwerten, ließen mich gegen Ende meines Studiums unbefriedigt zurück. Hungrig nach neuen Eindrücken suchte ich nach einer Chance, der Pandemieträgheit zu entfliehen. Sie bot sich mir in einer unerwarteten Form: als Praktikum in den Bunker Studios in New York. Für einen eingefleischten Jazzfan wohl die beste Gelegenheit, zu schauen, ob sie auf der anderen Seite vom Teich auch „nur mit Wasser kochen“.

Block 2

Die Bunker Studios liegen am nördlichen Rand von Brooklyn in Williamsburg. Sie wurden 2006 von Aaron Nevezie, John Davis und Brad Williams gegründet und werden bis heute von ihnen mit weiteren Partnern betrieben. Sie bedienen vor- wiegend die New Yorker Jazz-Szene, betreuen aber auch pop-akustische und elektronische Produktionen. Dabei bieten sie mit zwei Regien und vier Aufnahmeräumen (Akustikdesign von Rod Gervais) sowie jeweils einer Producing-, Mixing- und Mastering-Suite (Thomas Jouanjean, Northward Acoustics) alle Produktionsschritte von der Aufnahme bis hin zum fertigen Master.

Im Herzen beider Regien finden sich Pulte der Firma Neve (8088 und 8058) und Wandler von Burl. Diesem Klangideal folgend basiert die Mikrofonsammlung vorwiegend auf historischen und aktuellen Röhrenmikrofonen der Firma Neumann sowie Bändchenmikrofonen von RCA, Coles und ähnlichen. In allen Räumen sind Lautsprecher der Firma ATC verbaut. Neben Pro Tools-Systemen stehen eine Studer A800 MKIII, sowie mehrere Zwei-Spur-Bandmaschinen zur Verfügung, die regelmäßig zum Einsatz kommen. Die zugehörige Instrumentensammlung könnte gut und gerne auch als Museum für die Geschichte der Synthesizer dienen.

Block 3

Nach Monaten der Vorbereitung, dem Ausfüllen von Anträgen, Fahrten zum Konsulat, der Suche nach Finanzierungen und bezahlbarer Unterkunft in New York (ein Thema für sich), traf ich also Anfang April 2022 in New York ein. Nach einer Woche der Akklimatisierung begann meine Zeit im Bunker Studio. Die Aufgaben von Praktikanten in amerikanischen Studios – vor allem New Yorker Studios – sind berühmt-berüchtigt. Zumindest die Bunker Studios betreffend waren alle Warnungen aus meinem Umfeld jedoch unbegründet. Das Studio ist ohne Zweifel auf Praktikanten angewiesen und entlohnt mit einer Struktur, die darauf ausgerichtet ist, sich schnell in den Arbeitsablauf des Studios einzuarbeiten. Neben Studio- und Booking-Manager Andy Plovnick sind es vor allem die Assistenten und Toningenieure Alex Conroy, Nolan Thies und Todd Carder, die die Ausbildung übernehmen.

Ums Kaffeekochen kommt man dennoch in keinem Fall herum. Die erste Zeit bestand auch für mich vorwiegend aus Künstlerbetreuung sowie Studiowartung und kleineren Reparaturen – „to put in the work“, wie es so schön heißt. Die schützende Hand des guten Rufs der deutschen Tonmeister-Ausbildungsstätten, die einen hierzulande manchmal vor dem Kaffeedienst bewahrt, reicht leider nicht bis nach New York. Wer schnell über diese Phase hinaus möchte, muss Initiative zeigen. Die Anweisung, das Pult zu entstauben, kann man gerne als Einladung verstehen, die eine oder andere (im besten Fall interessante) Frage zur Verschaltung des Studios zu stellen. Im richtigen Moment dem Produzenten eine Namensliste der Band zuzuschieben, sichert einem vielleicht schon einen Platz als zweiten Assistenten bei der nächsten Produktion. Am besten, man nimmt es mit Humor – gegen 21:00 Uhr in Williamsburg am Wochenende zwei Apple Pies und drei Stücke „Birthdaycake“ aufzutreiben, ist ein Erlebnis für sich.

Warum diese Vorsicht mit Praktikanten?

Schlechte Erfahrungen mit Praktikanten? Nicht vereinheitlichte Ausbildungen? Die Angst vor fehlendem Fingerspitzengefühl im Umgang mit Künstler*innen? Vielleicht. Ich sehe die Gründe jedoch vorwiegend im Workflow. Die Bunker Studios sind fast bis zur Kapazitätsgrenze ausgelastet. Mit wenigen (angekündigten) Ausnahmen dauerten die Studiotage von 10:00 bis 20:00 Uhr. Arbeitsbeginn war jeweils 09:00 Uhr. Nur in den seltensten Fällen erstreckten sich Produktionen über mehr als zwei Tage. Das Arbeitstempo war ähnlich schnell wie alles in dieser Stadt (jedoch nie hektisch). Nicht selten kam es vor, dass vormittags in Studio A noch eine zwölfköpfige Funkband inklusive Videoteam betreut und nachmittags im gleichen Raum ein Streichquartett oder Klaviertrio aufgenommen wurde. Für den Umbau blieb eine Stunde. Die Musiker*innen blieben davon stets unbehelligt. Es wurde gelegentlich um 5, nie aber um 15 Minuten überzogen. Alle Aufbauten waren vor dem Eintreffen der Künstler fertig. Dieses Tempo ließ wenig Raum für Fehler. Es wurde daher von Praktikanten erwartet, sich zunächst mit dem Studio und den Workflows vertraut zu machen, um sukzessive mit in den Alltag einzusteigen. Ich versuchte zunächst, die technischen Umbauten zu antizipieren. Jedes Problem, das gelöst war, bevor es auftrat, bedeutete Minuten, in denen der Toningenieur oder Assistent Zeit hatten, meine Fragen zu beantworten. So arbeitete ich mich voran. Vom Praktikanten zum zweiten Assistenten, und zuletzt zum Assistenten oder Toningenieur.

Was bekam ich zurück?

Auch wenn ich schon häufiger das Glück gehabt hatte, bei analogen oder hybriden Produktionen mitzuwirken, habe ich in den Bunker Studios die Teamarbeit am Pult zu schätzen gelernt. Es war eine unglaubliche Freude, die filigrane Klangbearbeitung durch die bewusst färbende Aufnahmekette zu beobachten (ich höre schon den Aufschrei der Verfechter der klangneutralen Wandlung). Die Bedeutung der Arbeitsteilung des Produzenten, Toningenieurs und Assistenten wird sehr deutlich, wenn analoge Hardware mit derselben Leichtigkeit implementiert wird, wie wir sonst ein Plug-in öffnen. Da ich mich, falls nicht explizit einer Produktion zugewiesen, jeder laufenden Session anschließen konnte, habe ich die verschiedenen Arbeitsweisen aller Mitarbeiter kennengelernt. Ich habe Aufnahmen vom ersten Ton in Studio A oder B, über den Mix-Room (meist besetzt von Aaron Nevezie oder John Davis) bis in Alex DeTurks Mastering-Suite begleiten können. Der alltägliche Umgang mit den Bandmaschinen zur Klangfärbung, das gerne geteilte, technisch fundierte Wissen über die genutzten Werkzeuge sowie die nüchterne Betrachtung des Nutzens analoger Hardware gegenüber digitalen Alternativen, hat für mich noch einmal die künstlerisch-handwerkliche Dualität unseres Fachs in den Fokus gestellt. Mit welcher kreativen Detailverliebtheit im Bunker gearbeitet wird, ist für mich sehr eindrucksvoll auf Cécile McLorin Salvants aktuellem Studioalbum Mélusine (produziert von John Davis) festgehalten. Es ist für mich untrennbar mit meiner Zeit in den Bunker Studios verbunden.

Gibt es Unterschiede zu deutschen Studios?

Ich habe nie erwartet, gravierende oder gar allgemeingültige Unterschiede zu deutschen Studios festmachen zu können. Zumal ich sowohl hier, vor allem aber in New York, nur eine Handvoll Studios kennenlernen durfte. Ich möchte trotzdem sagen, dass sich das Lebenstempo der Stadt New York, sowie eine gewisse amerikanische Stil- und Entscheidungssicherheit durch die Abläufe in den Bunker Studios ziehen. Auf Pegelanzeigen wird – entgegen einigen hiesigen Lehrwerken – nur zweitrangig geachtet. Der Klang zählt! So habe ich auch beobachten können, dass selten ein Mikrofon oder Effekt als „schlecht klingend“ bezeichnet wurde, sondern maximal als „unpassend“ für die Anwendung, und sie damit, selbst bei vermeintlicher technisch minderwertiger Qualität, das perfekte Tool für eine spätere Anwendung sein könnten. Es klingt interessant, nicht schlecht! Diese Spielfreude mit dem geräuschhaften, dem rauen und kratzigen, manchmal fast eigenartigem Klang, war etwas, das mir zumindest in dieser Selbstverständlichkeit so noch nicht begegnet war. Ich bin mir jedoch sicher, dass ich unzähligen deutschen Studios unrecht tun würde, dies als Alleinstellungsmerkmal amerikanischer Studios darzustellen.

Hat es sich gelohnt?

Es wäre falsch, an dieser Stelle keine Warnung für alle, die an einem Praktikum in New York interessiert sind, auszusprechen. Die Lebenshaltungskosten in New York sind schwindelerregend! Dies wird noch einmal verschärft durch die vorsichtige Haltung gegenüber neuen Mitarbeitern. Sie erlaubt kaum, ein vier- oder sechswöchiges Praktikum zu absolvieren, da die Zeit nicht reicht, um das notwendige Vertrauensverhältnis aufzubauen und daraufhin mit interessanten Aufgaben betraut zu werden. Ich muss auch darauf hinweisen, dass nicht alle Studios derart aufgeschlossen sind, Praktikanten auszubilden, wie es bei den Bunker Studios üblich ist. Bei einem anderen Studio, bei dem ich an freien Tagen aushelfen wollte, musste ich nach zwei Tagen kündigen. Kein Zutritt zur Regie für Praktikanten! Ja, diese Fälle gibt es wirklich! Wen also lediglich die Stadt lockt, dem rate ich zu einem ausgiebigen Urlaub. Er wird sich lohnen! Wer Interesse an der amerikanischen Studio- und Musikkultur und – wie ich – das Glück hat, ein ausbildungsfreudiges Studioteam zu finden, wird lange von dieser Erfahrung zehren können. Es kann durchaus Spaß machen, sich unabhängig des guten Rufs des Tonmeisters neu behaupten zu müssen. Die Einblicke, die ich in die Arbeitsweisen so vieler von mir bewunderter Künstler*innen haben durfte, haben die anfänglichen Hürden in jedem Fall wett gemacht, und meine eigene Arbeitsweise nachhaltig verändert. Meine Erfahrungen in den Bunker Studios möchte ich nicht missen!

Ich bedanke mich herzlich bei: Katja Simons vom New York Office Campus OWL, Cindy Klarwasser und der German American Chamber of Commerce, Prof. Michael Schubert und dem ETI Detmold, Prof. Norbert Sterz und dem Rotary Club Detmold-Blomberg sowie der Hochschule für Musik Detmold und Frau Baumann-Südfeld, stellvertretend für die Gesellschaft der Freunde und Förderer für die Unterstützung, ohne die mein viermonatiger Aufenthalt in New York nicht möglich gewesen wäre.

Block 8

Der Autor Christopher Opelt studierte Tonmeister in Detmold und war von April bis Juli 2022 als erster Student des ETI Stipendiat des Professional Experience Program des Campus OWL und als Praktikant in den Bunker Studios in New York. Die Erfahrungen aus dieser Zeit nimmt er mit in seine Tätigkeit als freischaffender Tonmeister.