VDT-Theatertonmeistertreffen 2024 in Amsterdam

Der 20. Juni im Muziekgebouw: Ein kleiner Rückblick

Text: Jürgen Hanelt – Fotos: Jürgen Hanelt, Claus Dick

Block 1

Das diesjährige VDT-Theatertonmeistertreffen fand am 20. Juni im Muziekgebouw in Amsterdam statt. Nach einigen Jahren der Versuche zu Themen- und Terminfindung sollte es also in diesem Jahr endlich wieder soweit sein! Das VDT-Theater-Team Oleg Surgutschow und Jürgen Hanelt konnten zu einer gemeinsamen Veranstaltung mit Norbert Ommer einladen. Das Treffen fand im Rahmen des Holland-Festivals statt, einem großen Festival der internationalen darstellenden Künste. Die Geschäftsführung des Events ließ es sich nicht nehmen, unsere Veranstaltung mit einer herzlichen Begrüßung zu eröffnen.

Norbert Ommer ist sicherlich vielen Kollegen und Kolleginnen ein Begriff: Er ist nicht nur vielfacher Preisträger verschiedenster Auszeichnungen (unter anderem der Gewinn des Goldenen Bobbys für Szenische Darbietungen 2002), sondern auch als langjähriger Tonmeister des Ensemble Modern und in vielen freiberuflichen Aktivitäten bei anspruchsvollen elektroakustischen Umsetzungen ein gefragter Fachmann. Auch das Ensemble Modern muss man sicherlich nicht ausführlich vorstellen, ist es doch ein fester Begriff für – vor allem – zeitgenössische Musikproduktionen geworden.

Das Programm des Treffens

Bei diesem Event bot sich uns die Gelegenheit, eine ausführliche Beschreibung der mit Immersive Sound konzipierten zeitgenössischen Oper Melencolia von Brigitta Muntendorf zu erhalten. Das Projekt fand im Muziekgebouw in Amsterdam statt, einem modernen Universal-Konzertgebäude mit variabler Akustik sowie veränderbaren Aufbaumöglichkeiten für Bühnen- und Zuschauerraum. Für die Oper war durch Volumenanpassung sowie die Nutzung von absorptiven Flächen eine Nachhallzeit von durchschnittlich 1,8 Sekunden vorbereitet. Bühne und Zuschauerraum waren klassisch angeordnet, also mit Frontbühne und Zuschauerraum im Schuhschachtel-Format. Das Parkett konnte elektroakustisch von allen Seiten versorgt werden; im ersten Rang mussten kleine akustische Kompromisse kompensiert werden.

Block 3

Unser Tagungsprogramm begann mit einer ausführlichen Beschreibung der Konzeption und der tatsächlichen Umsetzung dieses Opernprojekts durch Norbert Ommer und sein Team. Wir erfuhren von ihm, wie die Vorbereitungsphase in organisatorischer Hinsicht abgelaufen war, welches Equipment und welches Personal benötigt und eingesetzt wurde und wie die zeitlichen Abläufe einer derart komplexen Produktion koordiniert wurden. Die Verflechtung von zugespieltem Video- und Audiocontent zu einem live spielenden Orchester und mitunter Timecode-basierten Effekten waren die wesentlichen Merkmale dieser Produktion, ebenso wie die Steuerung der Wiedergabe-Richtungen (Objekte) über eine Soundscape-Matrix. Allein diese komplexe Verknüpfung von mehreren, teils freilaufenden Apparaturen zum live spielenden Orchester, das streckenweise mit Click-Track versorgt wurde, nötigte einigen Respekt ab. So betreuten schließlich fünf Personendas Konzert in der Zuspielung, Steuerung und Überwachung. Alle Audioquellen waren stets auf dem Mischpult aufliegend, also im permanenten Zugriff durch Norbert Ommer.

System-Plot Melencolia

Blockschaltbild des gesamten Mediensystems
Blockschaltbild des gesamten Mediensystems

Im Anschluss an die Beschreibung der technischen Infrastruktur hatten wir Gelegenheit, einige Zuspielungen auch im Zuschauerraum hören und beurteilen zu können. Wir konnten uns frei bewegen und die Be- schallung der verschiedensten Positionen im Zuschauerbereich wahrnehmen. Im Anschluss an die ausführliche Beschreibung in überwiegend technischer Hinsicht folgte der Vortrag der Komponistin Brigitta Muntendorf. Sie hat bereits ein beträchtliches Oevre geschaffen und ist in der Komposition zeitgenössischer Musik sowie der damit verbundenen immersiven Darbietung etabliert. Wir erfuhren von ihr, wie sie in Wiedergaberichtungen komponiert und dies auch skizzenhaft dokumentiert. Diese Übersicht dient daraufhin bei den Vorproben der Produktionen als Richtschnur bei der Einrichtung vor Ort. Die Möglichkeit, einmal gefundene – auch komplexe – Schallquellenmischungen speichern zu können, sind für die Umsetzung der Komposition immanent. Die Komponistin ist insofern personeller Bestandteil einer Ton- und Klangeinrichtung vor Ort.

Block 5

Mittags hatten wir die Gelegenheit zu einem Mittagsimbiss im Restaurant des Muziekgebouw mit einem beeindruckenden Blick auf die Ij und deren Schiffsverkehr. Anschließend führte uns Tijl Schroevers, stellvertretender Leiter des Muziekgebouw, durch das Haus, wobei wir Blicke hinter die Kulissen werfen konnten. Besonders interessant für die Teilnehmenden waren der doppelschalige Aufbau des gesamten Konzertsaales, der auf Schwingelementen sitzt, der Probensaal mit einer Orgel oder auch die umfangreiche Steuerung aller technischen Bühnensysteme.

Block 6

Die Vorträge am Nachmittag begannen mit der Vorstellung des Matrixsystems Sound- scape der Firma d&b audiotechnik durch Ralf Zuleeg. Wir erfuhren zunächst einiges Grundlagenwissen zu Multi-Lautsprecheranordnungen und deren Herausforderungen. Die Erforschung der Interaktionen der elektroakustischen Wandler hat bei d&b letztendlich zur Entwicklung des Soundscape-Systems geführt. Einen größeren Raum nahm der Vortrag zur objektbasierten Wiedergabe ein. Hinter diesen Objekten verbergen sich Wiedergabeszenarien, die mit beliebigem Audioinhalt gefüllt werden können. Weiter- hin integriert Soundscape über verschiedene Softwarebrücken Hard- und Software anderer Hersteller.

3D-Setting

Nach einer Kaffeepause folgte – last but not least – der Vortrag von Christoph Sladeczek (Fraunhofer IDMT und transfer function GmbH) zum Thema OSC (Open Sound Control). Er beinhaltete die Grundlagen und ging auf die Anforderungen sowie den praktischen Einsatz im Live-Betrieb ein. OSC ist ein offenes Netzwerk-Protokoll zur Steuerung von Komponenten im Vorstellungsbetrieb. Steuerbefehle können sowohl von Hard- als auch von Softwarekomponenten abgesetzt und empfangen werden. Sie werden als Zeichenkette mit definierten Textmodulen formuliert und empfangen, jedoch legt jeder Hersteller die Steuerbegriffe selbst fest. Aus Gründen der einfacheren Handhabung und universelleren Anwendung ist OSC geeignet, den jahrzehntealten MIDI-Standard zur Befehlsübermittlung und Maschinensteuerung zu ersetzen.

Block 8

Am Abend folgte schließlich der Vorstellungsbesuch der Oper. Im fast ausverkauften Haus hatten die Veranstalter des Holland-Festival für unsere Teilnehmer vorab Plätze in der Nähe des Mischplatzes reserviert. So konnten wir annähernd das Klangbild von Norbert Ommer nachvollziehen. Das verzahnte Ineinandergreifen der Zuspielungen und die präzisen Einsätze des Orchesters bestätigten und rechtfertigten den erheblichen Aufwand an Steuerungen und Kontrollmöglichkeiten. Die teilweise massiven akustischen Flächen von der Seite waren sicher kompositorisch gewollt, legten sich jedoch ein wenig auf die Durchsichtigkeit des Orchesterklangbildes. Der durchgehende Videocontent mag Geschmackssache sein, machte der akustischen Präsentation aber keine Wahrnehmung strittig.

Block 10

Jürgen Hanelt ist im Verband Deutscher Tonmeister der Referent für Theater. Als Theatertonmeister hat er am Bamberger Stadttheater in leitender Funktion in vielen Jahren überregional beachtete Aufbauarbeit geleistet. Weiterhin war er viele Jahre Cheftonmeister und Leiter der Tonabteilung am Staatstheater in Weimar.