Zurück in eine neue tontechnische Normalität


Mit alter Musik, historischen Intrumenten und neuem Hygiene- und Aufnahmekonzept zurück in eine neue tontechnische Normalität

Ein Erfahrungsbericht vom Ausnahmesommer 2020

Seit Beginn der weltweiten Corona-Pandemie hat sich in der Kulturlandschaft viel verändert. Konzertveranstaltungen können gar nicht oder nur unter strenger Einhaltung besonderer Vorsichtsmaßnahmen und spezieller Hygienekonzepte durchgeführt werden. Auch bei Studio- und Musikaufnahmen braucht es auf unbestimmte Zeit neue Konzepte, in die sich die geltenden Abstandsregeln und Infektionsschutzmaßnahmen integrieren lassen.

In diesem Sommer stellten sich die Heidelberger Sinfoniker unter Leitung von Johannes Klumpp anlässlich der Aufnahmen von insgesamt neun Haydn-Sinfonien den neuen Herausforderungen. Wir sprachen mit Manager und Kontrabassist Michael Neuhaus, Tonmeister und VDT-Mitglied Eckhard Steiger, Logistik- und Stage-Manager Ulrich Zimmer und Dirigent Johannes Klumpp über neue Herausforderungen und Lernkurven bei der Planung und Durchführung von Orchesteraufnahmen.

Was war an der Planung und Vorbereitung der Aufnahmen schwierig, gerade mit Blick auf die geltenden Vorgaben und Richtlinien zum Infektionsschutz?

Michael Neuhaus, Kontrabass und Management: Die grundsätzlichen Hürden sind derzeit vor allem die Unsicherheit, was unter welchen Umständen möglich ist und wer dazu zu befragen ist. Letztlich muss man es probieren, was natürlich auch die Bereitschaft aller Beteiligten voraussetzt, inklusive der Gefahr, dass die Aufnahme sehr kurzfristig abgesagt oder auch abgebrochen werden muss.

Ulrich Zimmer, Logistik- und Stagemanagement: Dann muss noch ein Raum gefunden werden, der nicht nur von der Größe für das Ensemble geeignet ist, sondern seinerseits auch ein tragbares Corona-Schutzkonzept ermöglicht, das mit dem speziellen Hygienekonzept des Orchesters kompatibel ist. Wir entschlossen uns, den Orchesteraufbau auf Basis der Empfehlung der Charité vom 07.05.2020 vorzunehmen, die in Kooperation mit den Berliner Orchestern abgegeben wurde. Das bedeutet zum Beispiel das Einhalten eines Stuhlabstands bei den Streichern von 1 bis 1,5 Metern.

Der zeitliche Aufwand für den Orchesteraufbau war deutlich höher als normal, da jede Musikerposition, bedingt durch die genannten Abstandsregelungen, mit dem Zollstock vermessen und markiert werden musste. Zudem wurden innerhalb der Aufnahme die Plätze der Hörner und Trompeten im Hinblick auf den Infektionsschutz besonders betreut. Diese Positionen wurden mit Zeitungspapier ausgelegt, um beim Ausblasen das Kondenswasser aus den Instrumenten aufzunehmen. Nach jeder Aufnahmesession wurden dann sowohl die Zeitungen entsorgt als auch die Flächen um die Bläserplätze entsprechend desinfiziert.


Ein großer Raum mit viel Luft, Abstand und komfortabler Deckenhöhe sind Grundvoraussetzung für eine Corona-sichere Orchesteraufnahme. Schönes Details: Das Zeitungspapier hinten beim Blech

Welche Lösungsansätze verfolgten Sie schließlich für die Durchführung der Aufnahmen?

Ulrich Zimmer: Wir hatten im Aufnahmeraum genug Platz auch für den großen Abstand der Blechbläser zueinander und zum übrigen Orchester. Die Bühne war allerdings von Hörnern, Pauke und Trompeten alleine gefüllt, aber dadurch konnten wir auf Trennwände verzichten.

Eckhard Steiger, Tonmeister: Lösungen setzen Probleme voraus. Rückblickend kann ich sagen, dass es wesentlich weniger Probleme gab, als ich vermutet hatte. Rein interessehalber hätte ich die Aufstellung mit den Trennwänden sehr gerne ausprobiert, aber letztlich war ich froh, dass es mit einer halbwegs normalen Aufstellung zu machen war.

Eines der möglichen Probleme bestand in einem potentiell erschwerten Zusammenspiel durch den größeren Abstand der Musiker. Da es sich beim Saal allerdings nicht um eine akustisch trockene Bühne, sondern eher ein akustisch lebendiger Raum handelte, haben sich diese größeren Distanzen in der Praxis ziemlich relativiert.


Alle Sitzpositionen waren fest markiert

Durch die Beschränkung auf insgesamt sechs Personen im nicht wirklich kleinen Regieraum war das Abhören etwas schwieriger. Glücklicherweise war die Personenanzahl für die jeweils relevanten Personen bestehend aus Dirigent, Konzertmeister, Stimmführer und Solisten ausreichend. Für rein interpretatorische Eindrücke wurde die Abhörfassung zudem auch in den Aufnahmesaal eingespielt, so dass alle mithören konnten. Zusätzlich gab es nicht nur in der Regie, sondern auch im Aufnahmeraum eine Kopfhörerstation. Dadurch hatte jeder die Möglichkeit, mit seinem gewohnten Kopfhörer ebenfalls einen Höreindruck zu bekommen.

Eine weitere Gefahr bestand darin, dass das Klangbild unter den größeren Abständen der Musiker leiden könnte. Natürlich mischen sich die Instrumentengruppen besser, wenn sie dichter beieinander spielen. Andererseits wünsche ich mir bei den Aufnahmen tendenziell ohnehin mehr Abstand, besonders zwischen Bläsern und Streichern, auch wenn die Musiker oft befürchten, den Kontakt zueinander verlieren. Insofern kam die Corona-Aufstellung meinen Wünschen sogar etwas entgegen ­– natürlich braucht es eine gewisse Zeit der Gewöhnung für die Musiker. Das Ensemble war für diese Aufnahme klein besetzt, das war gewissermaßen von Vorteil. Aber auch vier Ersten Geigen klingen nicht mehr so kompakt, wenn sie den sonst üblicherweise notwendigen Raum von sechs Streichern, also drei Pulten einnehmen. Auch da kam sicherlich die Raumakustik dem Hörerlebnis entgegen, da eine dichtere Mikrofonierung bei genügend Rauminformation eben nicht zwangsläufig einen nackten Sound nach sich zieht.


Viele Mikrofon helfen bei großen Abständen

Normalerweise spendiere ich bei einem solchen Kammerorchester (Anm.: Streicher 4-4-2-2-1 / 2 Oboen, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauke) jedem Pult ein Mikrofon. Das war mir aber bei den größeren Abständen zu heikel, so dass ich letztlich für jeden Spieler ein eigenes Mikrofon gestellt habe – es hatte aber auch jeder Musiker sein eigenes Notenpult, also lief es letztlich doch wieder auf ein Mikro pro Pult hinaus. Und das war im Nachhinein betrachtet auch völlig richtig und unproblematisch. Es wäre eher schwierig gewesen, zwei Oboen, die zueinander zwei Meter Abstand haben, mit einem Mikrofon stützen zu wollen. Da würde man viel hören, nur nicht die Oboen – besonders, wenn noch Trompeten mit im Spiel sind. Natürlich bringt diese Vielmikrofonierung auch ihre Probleme mit sich, aber bisher ist der Klangeindruck sehr angenehm und durchsichtig.

Was war dann vor Ort die größte technische Herausforderung bei der Umsetzung?

Eckhard Steiger: Tatsächlich eine ganz alltägliche, die überhaupt nichts mit Corona zu tun hat. Wir haben im Best Western Palatin Kongresshotel Wiesloch aufgenommen und wollten unbedingt vermeiden, für diese immerhin zwei Wochen andauernde Produktionsphase mit Proben und Aufnahmen ein Kabel durch das Foyer des Hotels zu legen, zumal in dem Bereich auch noch der Zugang zu anderen Veranstaltungsräumen liegt. Deshalb haben wir uns für die Netzwerk-Verbindung via Dante entschieden. Dabei ist man natürlich nie vor Überraschungen gefeit, aber die Kooperation im Palatin Wiesloch mit den Haustechnikern war hervorragend, so dass wir letztendlich eine stabile Verbindung zwischen allen DADs und Aufnahmegeräten realisieren konnten.

Lief dann alles nach Plan oder mussten Sie grundlegende Änderungen vornehmen und das Konzept optimieren?

Eckhard Steiger: Wie bereits beschrieben ist die Anzahl der Mikrofone deutlich größer geworden – bei einem Kammerorchester muss man normalerweise keine 30 Mikros aufbauen – aber man kann es tun, was ich persönlich nun nicht als schädlich für den Sound erachte. Es ist letztendlich eher eine logische Erweiterung, nachdem ich für solistische Parts auch sonst den Stimmführern gerne ihre eigenen Mikros gebe.

Welche Erfahrungen haben Sie im Laufe der Aufnahmen gesammelt? Gibt es praktikable Zukunftsmodelle für ähnliche Setups?

Johannes Klumpp: Für mich war es eine ausgesprochen positive Erfahrung, dass alles so gut funktioniert hat. Der größere Abstand verändert den Kontakt weniger, als ich am Anfang befürchtet habe.

Michael Neuhaus: Tatsächlich brachte der etwas größere Abstand eine unumgänglich größere Eigenverantwortung und Vorbereitung eines jeden Musiker mit sich, vielleicht war die Aufmerksamkeit dadurch zeitweise sogar erhöht.


... und für Zwischendurch hat natürlich auch die Maske mitgespielt!

Können Sie aus der Erfahrung heraus Workflow-Empfehlungen oder Tipps für andere Produktionen geben?

Eckhard Steiger: Was ich selbst für zukünftige Produktionen vermutlich beibehalten beziehungsweise noch weiter optimieren werde, ist die Abhörsituation für die Musiker. Aber dazu sammele ich noch Rückmeldungen und Wünsche und Ideen aus dem Orchester.

Wie war denn überhaupt das Feedback der Musiker angesichts der eher ungewöhnlichen Aufnahmesituation?

Johannes Klumpp: Wir alle konnten die Erleichterung spüren, endlich wieder spielen zu können. Die Freude des gemeinsamen Musizierens der phänomenalen Musik von Joseph Haydn lässt einen die Begleiterscheinungen innerhalb kürzester Zeit vergessen ...

Michael Neuhaus: Für mich als einzelnen Kontrabassisten in der benötigten Besetzung war die Situation, was den Abstand betrifft, kaum anders als sonst. Besonders schön war es, den großen Bereitschaftswillen des Orchesters zu sehen, auch in dieser Situation Lösungen zu finden. Und nach einer langen Pause endlich wieder den Enthusiasmus der Musiker und des Dirigenten Johannes Klumpp erleben zu können.Dieses Mal war das eigenverantwortliche Spiel der einzelnen Musiker deutlich stärker gefragt. Da wir in einer kleinen Besetzung gespielt haben, kam es gerade in dieser Situation auf jeden Musiker an: Insbesondere, wenn jeder ein eigenes Mikrofon bekommt, kann die Aufregung auch bei den professionellen Orchestermusikern steigen. Wir haben deutlich gemerkt, dass wir ein gut eingespieltes Team sind – dieses Mal kam es noch mehr zum Tragen. Wir konnten unseren Ansprüchen trotz aller Hürden gerecht werden!